Manufakturbesuch: „Blütenmacherei“ – die Deutsche Kunstblume Sebnitz
Vom Stanzen, Färben und „Blümeln“: Seit 1834 werden in Sebnitz einzigartige Kunstblumen gefertigt. In der Manufaktur haben wir entdeckt, wie
Echt oder nicht? In der „Blütenmacherei“, der Deutschen Kunstblume Sebnitz, werden Margeriten, Rosen und Vergissmeinnicht hergestellt, die aussehen, als wären sie gerade frisch von der Wiese gepflückt. Dabei bestehen Ihre Blüten aus unverwelkbarer Seide, aus Samt oder Taft. Hier entstehen nicht einfach Kunstblumen, sondern wahre Kunstwerke: Nach alter Tradition, die bis in das Jahr 1834 zurückreicht, werden die einzelnen Bestandteile jeder Blüte aufwändig von Hand gestanzt, geprägt und eingefärbt. Schauen Sie mit uns den „Blümlerinnen“ in der Manufaktur in der Sächsischen Schweiz über die Schultern – es ist höchste Zeit, dieses fast verlorene Handwerk zu entdecken!
Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, ganz am Rande Deutschlands gelegen, hat das Blümeln Tradition. „Seit 1834 ist das Handwerk der Kunstblumenherstellung in Sebnitz beheimatet. Schon bald wurden die Kunstblumen in alle Welt exportiert, die Modeindustrie boomte, Kirchen und Schlösser wollten geschmückt werden. Die Herstellung in dem kleinen sächsischen Ort deckte in der Hochphase gar drei Viertel des Weltmarktbedarfs ab. Um 1900 gab es fast 200 Kunstblumenbetriebe und 15.000 Kunstblumenfacharbeiter“, erzählt Günter Hartig, Geschäftsführer der Deutschen Kunstblume Sebnitz und „seit 47 Jahren an der Blume“.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise Ende der Dreißigerjahre sank die Nachfrage, im Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion zeitweise ganz eingestellt. 1953 wurden die über 100 verbliebenen Betriebe der Kunstblumenindustrie im Raum Sebnitz verstaatlicht und unter dem Namen VEB Kunstblume Sebnitz zusammengeführt; 4000 Mitarbeiter hatte der Volkseigene Betrieb zu DDR-Zeiten. „Nach dem Mauerfall aber wurde das Handwerk als unrentabel eingestuft, große Teile des Staatsbetriebes wurden treuhänderisch abgewickelt“, erzählt Hartig. Irgendwie musste das Handwerk bewahrt werden. 1992 zog Hartig mit alten Geräten, Material und Know-How in neue Räume ein und führt seither mit der Deutschen Kunstblume Sebnitz die einzige verbleibende Manufaktur der Stadt.
Heute fertigen nur noch 9 Blümlerinnen – so werden die Mitarbeiterinnen der Manufaktur liebevoll genannt – die Dekoblumen aus Stoff an. Sie halten das Handwerk lebendig, das – wieder – vom Aussterben bedroht ist.
Heute fertigen nur noch 9 Blümlerinnen – so werden die Mitarbeiterinnen der Manufaktur liebevoll genannt – die Dekoblumen aus Stoff an. Sie halten das Handwerk lebendig, das – wieder – vom Aussterben bedroht ist.
„In unserem Eisenkeller lagern 75.000 Stanz- und Prägewerkzeuge und künden von der Vielfalt der herstellbaren Kunstblüten und Gräser“, so Hartig stolz. Aber auch Sonderformen wie Sterne oder Schneemänner werden sorgsam aufbewahrt. „Diese Exoten stammen aus Notzeiten, als die Kunstblumenindustrie beinahe ausstarb. Man wurde erfinderisch.“
Die Prägeformen bestehen aus Messing oder Aluminium, da diese Metalle bei der Erhitzung die Wärme am besten speichern und abgeben können.
Die Prägeformen bestehen aus Messing oder Aluminium, da diese Metalle bei der Erhitzung die Wärme am besten speichern und abgeben können.
Für die Herstellung der künstlichen Blumen stärken die Blümlerinnen den Stoff zunächst. „Wir verwenden dazu Kartoffelstärke oder Gelatine“, so Hartig. „Manchmal geben wir die Stärke auch erst in der Färberei dem Stoff bei. Sie wird dann in die gewünschte Farbe gemischt“. Für die Sebnitzer Kunstblumen werden fünf Stoffe verwendet, vor allem Seide. „Wir arbeiten aber auch mit Samt – etwa für Vergissmeinnicht –, Taft, Atlasstoff und Baumwolle.“
Anschließend kommen die Stoffe in die Stanzerei. Hier lagern in einem langen Regal alle Stanzeisen, die tägliche benötigt werden. „Wir setzen immer noch eine Stanzmaschine von 1932 ein“, so Hartig.
Nach dem Stanzen geht es einen Stock höher, in die Färberei. Die Blümlerinnen verwenden zum Färben Textil- oder Seidenmalfarben. „Gelegentlich arbeiten wir aber auch mit Lebensmittelfarben“, so Hartig. Stoffe, die nicht gefärbt werden müssen – etwa die für weiße Blütenblätter – werden nur gestärkt.
Mit Schablonen werden hier den Stiefmütterchen die schwarzen Gesichter aufgemalt. Die Farbe darf anschließend gerne etwas verlaufen. „So entstehen einzigartige Muster wie in der Natur“, sagt Hartig. Ebenso werden die Stoffe für eine natürliche Optik gebatikt oder mit einem Pinsel von hell nach dunkel gefärbt. „Ein geschultes Auge und eine ruhige Hand sind für diese Arbeit besonders wichtig.“
In der Prägerei werden den gestanzten und gefärbten Stoffen schließlich plastische Formen verliehen. Das geschieht entweder mit der Fußdruckmaschine oder mit der Steinspindelpresse.
Blümlerin Dagmar Ulbrich presst hier gerade mit einem Prägeeisen an der Fußdrückmaschine die Blütenwölbung einer Rose. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt: Denn presst man zu stark, ist die Prägung zu deutlich zu sehen oder das Blütenblatt aus Samt, Seide, Taft oder Baumwolle bricht gar durch.
Die ausgestanzten Blütenblätter werden an der Steinspindelpresse durch die Form der Spindel und die Wärme einer integrierten, auf 100 bis 150 Grad Celsius erhitzten Heizplatte geprägt.
Der letzte Arbeitsschritt: Im Bindesaal der Manufaktur werden die gefärbten und geprägten Blumenteile in Handarbeit zu Blumen gebunden.
Blütenblätter einer Rose werden zum Beispiel eingerollt, damit sie etwas verwelkt aussehen und so dem natürlichen Vorbild näherkommen. Dann werden die 13-21 Blätter, die man für eine Rose benötigt, geklebt, gebunden und gewickelt. „Das ist der Schritt, den wir ‚Blümeln‘ nennen“, so Hartig.
Im Bild werden gerade per Hand die feinen Blüten des Enzians zusammengestellt.
Blütenblätter einer Rose werden zum Beispiel eingerollt, damit sie etwas verwelkt aussehen und so dem natürlichen Vorbild näherkommen. Dann werden die 13-21 Blätter, die man für eine Rose benötigt, geklebt, gebunden und gewickelt. „Das ist der Schritt, den wir ‚Blümeln‘ nennen“, so Hartig.
Im Bild werden gerade per Hand die feinen Blüten des Enzians zusammengestellt.
Manche Gräser oder auch Blütenstempel werden nach dem Zusammenstellen noch mit Leim bestrichen und in Gries gewendet. „Das ergibt dann ein sehr naturnahes Bild der originalen Blume ab“, erklärt Hartig.
Die Stängel der Blumen bestehen aus Papier, das in mehreren Schichten um einen Draht gelegt wird. Für das Binden einer Blume benötigen die Blümlerinnen im Durchschnitt etwa 20 Minuten, für besonders kleinteilige Blüten, etwa die von Wiesenblumen, auch über eine halbe Stunde.
Die fertigen Kunstblumen werden dann zum Teil im Laden der Manufaktur verkauft. Vor allem aber produziert die Sebnitzer Manufaktur Kunstblumen auf Bestellung, etwa als Brautschmuck oder für Dekorationen in Hotels. „Aber auch für herrschaftliche und kulturell bedeutende Gebäude wie das Neue Schloss in Bad Muskau und die Dresdner Semperoper, oder für besondere kulturelle Ereignisse wie die Bayreuther Festspiele werden Gestecke hergestellt. Grüne Bühnenbilder braucht man schließlich das ganze Jahr hindurch“, so Hartig. Mit anderen traditionsreichen Manufakturen, wie Meissen, arbeitet die Deutsche Kunstblume Sebnitz ebenfalls zusammen.
Wer die Deutsche Kunstblume Sebnitz besucht, kann aber nicht nur beim „Blümeln“ über die Schulter blicken. In der Manufaktur ist auch ein Museum beheimatet, dass die 180-jährige Geschichte der Kunstblumenherstellung in Sebnitz dokumentiert. Im Eisenkeller zeigt eine alte Werkbank, wie früher in der Kunstblumen-Manufaktur gearbeitet wurde. Historische Bilder an den Wänden bebildern im wahrsten Sinne des Wortes die Blütezeit dieses Kunsthandwerks um 1900.
Im Obergeschoss gibt es noch einen ganz besonderen Raum: „Dieses Musterzimmer haben wir den Dreißigerjahren nachempfunden. So könnte es zuhause bei den Sebnitzer Blumenfabrikanten ausgesehen haben, hier wurde verhandelt und hier wurden Exponate aller gefertigter Blumen zur Schau gestellt“, erzählt Hartig.
„Die Blütenmacherei gehört leider in Deutschland zu den aussterbenden Kunsthandwerken“, so Hartig. Da die Berufsgruppe mittlerweile so klein ist, gibt es keine staatlich anerkannte Ausbildung mehr. „Wer allerdings kreativ und abwechslungsreich arbeiten möchte und dieses besondere Handwerk schätzt, kann sich bei uns zum Blümler oder zur Blümlerin ausbilden lassen.“
Die Manufaktur Deutsche Kunstblume Sebnitz ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet, der Verkaufsraum täglich von 10 bis 17 Uhr. Zu finden im Neustädter Weg 10 in Sebnitz. Werkführungen sind nach Absprache möglich.
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